Wann immer ich an einem offenen Kamin sitze, wie am letzten Sonntag noch in unserem Romantikhotel im Sauerland, muss ich zwangsläufig an die Ballade von C. F. Meyer "Die Füße im Feuer " denken, die zu den Standardballladen des damaligen Deutschunterrichts gehörte. Eine Erklärung dafür habe ich nicht, das ist einfach so. Wenn ich mich nicht ganz irre, mussten wir sogar solche Gedichte auswendig lernen ...
Das Wort Ballade stammt ursprünglich aus dem früher in Südfrankreich gesprochenen Provenzalischen bzw. Okzitanischen, wo es als "ballada" ein Tanzlied bezeichnete. Es wurde dann um 1250 in der Form "ballade" ins Französische übernommen. Nach einer französischen Definition aus dem 13. Jahrhundert ist eine Ballade ein strophisches gesungenes Tanzlied, das der Tanzende selbst vorträgt, eine erzählende, rhythmisch gestaltete Schilderung eines vergangenen Geschehnisses, mitunter romantisch, oftmals mit einem als unvermeidlich charakterisierten katastrophalen Ende. Spätestens im 14. Jahrhundert wird die französische Ballade zu einem Gedicht beliebigen Inhalts (obwohl das Thema Liebe überwiegt), aber mit fester Form. Sie umfasst drei Strophen mit sich wiederholendem Reimschema (z. B. abbaacc abbaacc abbaacc), an die häufig eine Geleitstrophe (frz. envoi) angehängt ist, die das Reimschema der zweiten Hälfte der vollen Strophen hat (hier aacc). Die letzte Zeile c kehrt in der Regel als Refrain (Kehrreim) wieder.
Die Ballade kann aber, wenn sie nicht singend vorgetragen wird, auch ein erzählendes Gedicht sein. Ihre Grundhaltung ist die Epik, das Erzählende. Dem Balladendichter stehen jedoch alle drei Formen der Poesie offen - die Epik, die Lyrik (Form) und die Dramatik (Dialog). Deswegen nannte Goethe die Ballade das Urei der Dichtung. Er kann sie nach Belieben einsetzen und so die Ballade zu einer äußerst vielseitigen, vielschichtigen Kunstform erheben.
Die Erzählstruktur von Balladen ist häufig schlicht, klar und leicht lesbar. Die formale Struktur ähnelt der von Gedichten.
(vgl. Ballade gelesen bei wikipedia)
Conrad Ferdinand Meyer (* 11. Oktober 1825 in Zürich; †28. November 1898 in Kilchberg bei Zürich) war ein Schweizer Dichter des Realismus, der insbesondere historische Novellen, Romane und Lyrik verfasst hat. Er gehört mit Gottfried Keller und Jeremias Gotthelf zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schweizer Dichtern des 19. Jahrhunderts. Seine Novellen und Balladen haben zumeist einen historisch-religiösen Hintergrund; sie spielen in Zeiten großer konfessioneller Spannungen (Reformation, Gegenreformation, Dreißigjähriger Krieg) oder behandeln Personen in religiösen Auseinandersetzungen. Unter Meyers Lyrik nimmt der Gedichtzyklus `Huttens letzte Tage' einen besonderen Rang ein: die insgesamt 15mal erschienene frühe Gedichtsammlung wurde wiederholt erweitert und überarbeitet, wobei die Darstellung des Protagonisten sich dem historischen Vorbild immer weiter annäherte. So auch die 'Füße im Feuer'.
Die Füße im Feuer von Conrad Ferdinand Meyer (1825-98) ist eine der bekanntesten Balladen der deutschen Sprache und behandelt den Zusammenprall zweier extrem unterschiedlicher Weltsichten.
Ein Kurier des Königs von Frankreich sucht vor einem Unwetter in einem Schloss Zuflucht, wo man ihn als Gast aufnimmt, speist und ihm eine Schlafkammer zuweist. Die Stimmung ist eigentümlich, und nach und nach bemerkt er zu seinem immer größeren Grauen, dass er damit in die Gewalt einer der von seinem katholischen König blutig verfolgten Hugenottenfamilien geraten ist, und er selbst vor einigen Jahren anlässlich eines Pogroms in diesem Haus eine Frau zu Tode gefoltert hat. Er ahnt, erkannt worden zu sein. Das ganze damalige Bild, als Episode längst abgetan, muss er sich über Nacht zu seinem Entsetzen in Todesangst immer lebendiger vergegenwärtigen: die Füße im Feuer. Damit tut Meyer dar, dass diesen Täter sein Verbrechen nun nie wieder verlassen wird. Mit knappsten Mitteln wird hingegen gezeigt, wie schwer seine Verschonung den Gastgebern fällt. Im Abritt erdreistet der Verbrecher sich noch, es anzusprechen: Man habe wohl daran getan, einen Mann des Königs zu verschonen. Im Schlusssatz bekommt er die Quintessenz der Religion der Verfolgten zu hören: Mein ist die Rache, redet Gott. ('Die Rache in der Dichtung' gelesen bei wikipedia)
Die Füße im Feuer
Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.
Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Ross,
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell
Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann . . .
- "Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt
Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!"
- "Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert's mich?
Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!"
Der Reiter tritt in einen dunkeln Ahnensaal,
Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt,
Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht
Droht hier ein Hugenott 1) im Harnisch 2), dort ein Weib,
Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild . . .
Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd
Und starrt in den lebendgen Brand. Er brütet, gafft ...
Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal ...
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
Den Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin
Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft.
Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick
Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt ...
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
- "Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal!
Drei Jahre sind's ... Auf einer Hugenottenjagd
Ein fein, halsstarrig Weib . . . 'Wo steckt der Junker? Sprich!'
Sie schweigt. 'Bekenn!' Sie schweigt. 'Gib ihn heraus!' Sie schweigt.
Ich werde wild.  Der Stolz! Ich zerre das Geschöpf ...
Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie
Tief mitten in die Glut ... 'Gib ihn heraus!' ... Sie schweigt ...
Sie windet sich ... Sahst du das Wappen nicht am Tor?
Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr?
Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich."
Eintritt der Edelmann. "Du träumst! Zu Tische, Gast ..."
Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht
Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet.
Ihn starren sie mit aufgerissnen Augen an -
Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk,
Springt auf: "Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt!
Müd bin ich wie ein Hund!" Ein Diener leuchtet ihm,
Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück
Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr ...
Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach.
Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pistol und Schwert.
Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt.
Die Treppe kracht .. . Dröhnt hier ein Tritt? ... Schleicht dort ein Schritt? ...
Ihn täuscht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht.
Auf seinen Lidern lastet Blei, und schlummernd sinkt
Er auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut.
Er träumt. "Gesteh!" Sie schweigt. "Gib ihn heraus!" Sie schweigt.
Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.
Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt ...
- "Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!"
Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt,
Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr - ergraut,
Dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das Haar.
Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad.
Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch.
Friedsel'ge Wolken schwimmen durch die klare Luft,
Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht.
Die dunkeln Schollen atmen kräft'gen Erdgeruch.
Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug.
Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: "Herr,
Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
Und wisst, dass ich dem größten König eigen bin.
Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!" Der andre spricht:
"Du sagst's! Dem größten König eigen! Heute ward
Sein Dienst mir schwer ... Gemordet hast du teuflisch mir
Mein Weib! Und lebst! ... Mein ist die Rache, redet Gott."
Conrad Ferdinand Meyer (Erscheinungsjahr: 1892)
1)Â Hugenotten: frz. Protestanten kalvinistischen Glaubens, in Frankreich seit 1562 vom Katholizismus verfolgt und getötet; daher 1685 massenhafte Auswanderung, z.B. nach Brandenburg-Preußen
2)Â Harnisch: Rüstung
Euch allen noch einen harmonischen Sonntag. Die Sonne lädt sicherlich auch bei eisiger Kälte zu einem Winterspaziergang ein, und man kann anschließend sich die Füße am Kamin ein bisschen erwärmen. Einen geruhsamen und erholsamen Sonntag Euch allen.
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